Wann fingen die Staatsanleihen auseinander zu laufen? Wann zerbrach die Euro-Welt?

Es geht um das Thema Zinsdivergenz oder Zinsspreizung, wie es dem Englisch Spread am besten entspricht. Kann man den Zeitpunkt identifizieren, an dem die Zinsen für europäischen Staatsanleihen ihre große Spreizung starteten? Wir gehen in drei Schritten vor.

Schritt 1

Wir kennen ja alle folgendes Bild oder ähnliche Bilder, das Bild der Spreads für die langfristigen Staatsschulden der Eurozonen-Länder, hier als Beispiel das (zunächst noch wenig aussagekräftige Bild) der EZB-Website, monatliche Daten seit 1993 für die gesamte Eurozone:

Schaubild 1: Zinsen von 10-Jahres-Staatsanleihen der Länder der Eurozone (Diagramm-Quelle, original EZB mit Datum 2011-12-29) Anmerkung: 10-Jahres-Anleihen als rechnerischer Sammelbegriff für langfristige Schulden. In der Vergangenheit der Vor-Euro-Zeit war die 10-Jahres-Staatsanleihe noch ein Privileg zum Beispiel für Deutschland.

Schritt 2

Die Originaldaten der EZB reduzieren wir auf drei kritische Staaten Griechenland, Portugal und Italien – und Deutschland. Spanien bleibt zunächst ausser Betracht. Dann erhält man folgendes Bild:

Schaubild 2: Zinsen von 10-Jahres-Staatsanleihen von Griechenland, Portugal, Italien und Deutschland.

Kommen wir zu Schritt 3.

Nun die Frage, wann fing die Spreizung an? Wann trennte sich nach der langen Periode der Zinskonvergenz wieder der Spreu vom Weizen? Spannend ist das folgende Bild:

Schaubild 3: Zeitraum von April 2007 bis September 2008 in einer Zoom-Sicht der Monatsdaten.

Wir identifizieren den Punkt im folgenden Chart auf den Zeitraum Mai bis Juni 2007. Deutschlands Renditen bleiben zum ersten Mal unmerklich und doch merklich unter dem des der Süd-Staaten. Schon davor blieb das Trio Griechenland, Italien und Portugal deutlich über dem ebenfalls noch etwas steigenden Deutschland, dessen Renditen aber stur eine Etage tiefer verharren. Keiner hat es so richig gemerkt. Und wenn ja, hat es keiner gesagt. Wie im Krimi. Man muß schon genau hinschauen. Rot markiert ist dann der kleine „Abwärtskick“ der Rendite der deutschen Staatsanleihen, während die anderen eine Etage drüber bleiben. Im Zeitraum Frühjahr 2007, als die amerikanische Immobilienkrise ausbrach. Für einen kurzen Moment fielen die Renditen der deutschen Staatsanleihen schneller als der Rest des Marktes. Die anschließend nochmals sinkenden Renditen aller vier Länder verdecken zumindest psychologisch das eigentlich relevante Phänomen: die zunehmende Spreizung. Ab da trennen sich die Wege und nehmen die Abstände aller untereinander zu.

Weitere Fragen und Interpretation:

Was nachträglich erkennbar ist, wer hat es als erste(r) gespürt? Vielleicht Computer und ihre Algorithmen, ihre mathematischen Programme? Die besten Banker der Welt? Der Instinkt des Einzelnen, in dessen Kopf all die Theorien über die berühmte Financial Behaviourism-Theorie, die Formeln über stochastische Volatilität, Trinominalprozesse oder Konvexitätprozesse oder einfach nur Lebenserfahrung und Wissen um die Geschichte zusammengehen? Ein junger Trader oder ein Erfahrener, der das Unmögliche für möglich hält?

Wie schwierig das Geschäft ist, zeigt das Zitat aus dem Spiegel Nummer 50 mit dem Schwerpunkt „Geld regiert die Welt“, S. 48: „Mitte 2008, als Bass die kommende Krise aus seinen Zahlen und Figuren herausgelesen hatte, nüchtern und rational, als er sie diskutiert hatte unter anderem mit dem Harvard Professor und Bankrott-Spezialisten Kenneth Rogoff ….“

2008, sagt der Hedgefonds-Manager Bass?

Schauen wir das letzte Chart nochmal an. Mitte 2008 driftete die Eurozonen-Welt schon fast ein Jahr auseinander! Da hatte sich  die Unsicherheit im Markt schon festgefressen, denn Deutschland galt jetzt als sicherer Hafen und ist ab nun deutlich stärker nachgefragt. Aber nachträglich ist man immer klüger, denn im März 2008 schien sich die Schere fast wieder zu schließen….

Geld ist ein gewaltiges Thema der Komplexität geworden. Und ein Bild sagt mehr als 1000 Worte, nur welches Bild und welcher Bildausschnitt?

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